Königin für eine Nacht
Tagsüber eher unscheinbar, inszeniert die Nachtkerze mit Beginn der Abenddämmerung eine spektakuläre Verwandlung: Ausgelöst durch die Abkühlung öffnet die Nachtkerze ihre länglichen Knospen so schnell, dass man mit bloßem Auge dabei zusehen kann. Der Vorgang, bei dem sich meist mehrere Blüten gleichzeitig öffnen, dauert jeweils nur wenige Minuten - es wirkt, wie in Zeitraffer aufgenommen. Nach jedem Entfaltungsschritt erzittert die Blüte. Gleichzeitig verströmt die Nachtkerze in der Dunkelheit einen angenehmen vanilleartigen Duft. Und - sie leuchtet, denn die gelben Blütenblätter haben stark UV-Licht reflektierende Eigenschaften. Mit der Kombination aus Duft und Lichtspiel lockt die Nachtkerze Nachtfalter und Nachtkerzenschwärmer an. Spätestens am nächsten Mittag sind alle Blüten verblüht…bis zur nächsten Dämmerung.
Geschichtliches – von der Schlossanlage zum Schinkenkraut der Bauerngärten
Aus dem Osten Nordamerikas fand die Nachtkerze Anfang des 17. Jahrhunderts ihren Weg in europäische Gefilde. Mit ihrem nächtlichen eindrucksvollen Schauspiel sicherte sie sich ihren festen Platz in jeder barocken Schlossanlage und fand schließlich ihren Weg über die Gärten der Aristokratie und des wohlhabenden Bürgertums hinein in die Bauerngärten, wo sie als „Düsterkerze“ zum Sinnbild der Vergänglichkeit wurde. In diesem bäuerlichen Umfeld fand die Nachtkerze weitere Verwendung: So wusste man nicht nur um die Heilkraft der Pflanze, sondern verwertete im ersten Jahr des Lebenszyklus die nahrhaften und vitaminreichen Wurzeln als Nahrungsmittel. Werden die Wurzeln gekocht, werden sie leicht rosa, was der Nachtkerze den Volksnamen Schinkenkraut oder Schinkenwurzeln einbrachte. In jüngster Zeit erlebt dieses leicht bittere Gemüse, das an Schwarzwurzeln oder jungen Kohlrabi erinnert, eine Renaissance.
Wirkung und Verwendung
In der heimischen Volksmedizin wurde die Nachtkerze fast ausschließlich als Tee bei Durchfallerkrankungen eingesetzt. Die nordamerikanischen Indianer wussten dagegen schon lange, dass alle Pflanzenteile blutreinigende, beruhigende und Stoffwechsel anregende Wirkung besitzen. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Sowohl als Hustentee, Breiumschlag bei Prellungen oder Aufgüsse bei Magen- und Darmkrämpfen.
Zu großer "Berühmtheit“ kam die Nachtkerze erst vor rund 30 Jahren als Forscher den enormen Gehalt ungesättigter Fettsäuren, vor allem an Gamma-Linolensäure in der Pflanze entdeckten. Bisher kennt man keine Pflanze, mit ähnlich hoher Konzentration von 10 %. Gamma-Linolensäure ist bedeutend für den Stoffwechsel und Hormonhaushalt und wird - ohne jede Nebenwirkung - vor allem bei Wechsel- und Menstruationsbeschwerden eingesetzt. Aber auch bei Hauterkrankungen, hohem Blutdruck, Verbrennungen, Rheuma, Verdauungsbeschwerden und allgemein zur Stärkung des Immunsystems entfaltet die Nachtkerze ihre positive Kraft. Das Öl spielt eine wichtige Rolle bei kosmetischen Produkten.
In der Küche sind die Blüten eine tolle Abwechslung: Roh eine dekorative wie leckere Zugabe auf Salaten oder in Öl geröstet z.B. auf Risotto.
Steckbrief Nachtkerze
Familie: Nachtkerzengewächse (Onagraceae)
Pflanzenname: Nachtkerze (Oenothera biennis) Volksnamen: Schinkenkraut, Nachtblume, Rapontika, Sommerstern, Süßwurzel
Merkmale: Die 2-jährige Pflanze wird bis ca. 2 m hoch. Im 1. Jahr zeigt sich nur eine Blattrosette am Boden. Im 2. Jahr entwickelt sich ein langer (manchmal rot überlaufener) Stängel mit länglichen, fast ganzrandigen Blättern. In den Blattachseln wachsen von etwa Juni bis September die Blüten mit 4 Kronblättern und zurückgeschlagenen Kelchblättern. Die dreieckigen Pollenkörner gehören mit circa 0,12 mm zu den größten im Pflanzenreich und sind mit dem bloßen Auge erkennbar.
Vorkommen: Ödland, Weg- und Straßenböschungen, Bahndämme. Die Nachtkerze liebt offene, sonnige und leicht sandige Standorte.
Inhaltsstoffe: Gerbstoffe in den Blättern, ungesättigte Fettsäuren mit sehr hohem Anteil (10%) Gamma-Linolensäure in den Samen, Stärke, Eiweiß und Mineralstoffe in den Wurzeln.
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